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Der Kleine Mann Von Der Straße

Ulrich Roski

Ich suchte Sonntags in der Stadt nach einem schönen Glas Wein
Denn das Fernsehen lädt mich nie zum Frühschoppen ein
Da stand ein winzig kleiner Mann am Straßenrand
Nicht größer als ein Daumen und winkte mit der Hand
Ich hab' ihn sofort als Anhalter eingeschätzt
Und ihn behutsam in mein linkes Ohr gesetzt
Die nächste Ampel war rot, doch mein Passagier rief:
„Ich hab´s eilig du Spießer, lauf los!" und ich lief
Ein Polizist sah das und meinte: „He wie komm'n sie mir vor
Hier bei Rot zu geh'n, sie ham wohl 'n kleinen Mann im Ohr!"
Ich denk', der ist pfiffig, das muss ich gesteh'n
„Also Detlef, komm raus, er hat dich geseh'n"

Der Wachtmeister sprach und sein Gesicht wird aschfahl
„Mit wem reden sie denn da? Mir scheint sie sind nicht normal!"
„Nee", sag' ich lachend und er wird wieder rot
„Sie ham vollkommen recht, ich bin ein Idiot"
Er ruft erleichtert: „Ach sie sind ein Idiot!" und das hört
Ein Passant, der sich entrüstet: „Na das ist ja unerhört!
Ein Beamter beschimpft öffentlich einen unbescholt'nen Mann
Den zeigen wir wegen fahrlässigen Rufmordes an!"
Er stopt eine Funkstreife, erklärt alles und doch
Geh'n die Bullen auf mich los, ich reiß' gleich die Hände hoch
Damit man mich nicht, wie man's häufig so liest
In sogenannter "putativer Notwehr" erschießt

Es ist schwer zu versteh'n, doch es trifft immer den
Der am wenigsten Schuld hat am ganzen Gescheh'n
Jeder hält sich aus den Dingen raus so gut wie er kann
Denn der Dumme ist am Ende stets der kleine Mann.

„Was liegt nun an?", fragt die Streife, denn sie will schnell wieder fort
Da meldet sich ein korpulenter Herr zu Wort
Der die ganze Zeit mit seinem Schirm auf mich zielt
Und dessen Gesicht sehr stark in's Gesäßhafte spielt:
„Ich hab' alles gesehen und jetzt reißt mir die Geduld
Dieser Kerl", er weist auf mich, „ist an dem Menschenauflauf schuld!"
Eine Hausfrau, die gern kocht, geht vorüber und sinniert
Ob man Menschenauflauf wohl mit Speckstreifen garniert
Der Protokollführer bittet verzweifelt um Gehör
Fragt was er denn nun schreiben soll, er verstehe gar nichts mehr
Der Mann in meinem Ohr meint: „Eh du dich noch lang besinnst
Schreib dich selbst gleich zuerst auf, wegen Dummheit im Dienst!"

Während ich noch mit erhob'nen Armen dasteh'
Erscheint jetzt ein Bläserhor der Heilsarmee
Die spiel'n für mich "Jesus meine Zuversicht"
Doch mit sehr viel Optimismus erfüllt mich das nicht
Eine Anwohnerin aus der Umgebung schreit
Ihre Nachbarin zu: „Ist denn schon Faschingszeit?"
Worauf ihre Nachbarin meint: „Nein, nein
Wird wohl bloß wieder so'n Studentenumzug sein"
Eine Gruppe Jugendlicher, 'ne Art Rockerverschnitt
Brüllt: „Da drüben is' 'ne Demo, ey, da mischen wir mit!"
Und sie fordern sogleich die Heilsarmee auf:
„Jungs, habt ihr nicht die "Internationale" drauf?"

Es ist schwer zu versteh'n, doch es trifft immer den
Der am wenigsten Schuld hat am ganzen Geschehen
Jeder hält sich aus den Dingen raus so gut wie er kann
Denn der Dumme ist am Ende stets der kleine Mann

Die gaffende Menge hat inzwischen vielleicht
Die Einwohnerzahl von Castrop-Rauxel erreicht
Der Dicke mit dem Schirm hat das natürlich kommen seh'n
Er zetert: „Aufruhr!" und nun bleiben noch mehr Leute steh'n
Er wittert Zersetzung und Hochverrat
Als jetzt noch ein Rentner mit Flugblättern naht
Worauf der arme Alte fast vor Aufregung stirbt
Weil er auf seinen Zetteln nur für Eierzöpfli wirbt
Darüber gerät der Dicke außer sich vor Zorn
Und als Detlef auch noch schreit: „Hau endlich ab du Arsch mit Ohr'n!"
Tröst' ich ihn damit, dass es bisweilen gelingt
Aus einem Hintern ein Gesicht zu machen, wenn man ihn gut schminkt

Er heult: „Nehmen Sie das bitte zurück, sie Schwein!"
Und schlägt hemmungslos mit seinem Schirm auf mich ein
Dabei verlier' ich leider meinen kleinen Mann
Den ich auch in der Aufregung nicht wiederfinden kann
Endlich greift die Polizei ein. Damit sie Ordnung schafft
Nimmt Sie die Rocker und die Heilsarmee in Vorbeugehaft
Diese Maßnahme erweist sich als äußerst gescheit
Die Zusammenrottung hat sich jetzt im Nu zerstreut
Auch der Dicke macht sich geflissentlich dünn
Nur für Detlef hat Abhau'n nicht mehr viel Sinn
Seine letzten Worte sind: „Mensch, ich bin platt!"
Er meint das wörtlich, weil die Menge ihn zertreten hat

Es ist schwer zu versteh'n, doch es trifft immer den
Der am wenigsten Schuld hat am ganzen Gescheh'n
Den kleinen Mann, der sich nie in die Dinge mischt
Den hat's natürlich wieder mal am schlimmsten erwischt

(Autsch!)


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